Siegen, 17. Oktober 2017 (MKS) - „Du sollst nicht so viel suchten“, rät ein Jugendlicher seinem Freund. Was wie ein Rechtschreibfehler klingt, ist im Jugendslang ein ernst gemeinter Rat unter Teenagern. Beim Wort „suchten“ schwingt die Gefahr der Sucht gleich mit. Denn schaut man Heranwachsenden in ihrer Freizeit über die Schulter, gehört der kleine Bildschirm des Smartphones längst als ständiger Begleiter dazu. Und während die einen die Neuerungen der Digitalisierung feiern, sehen andere auch die Schattenseiten von Smartphone, Tablet und Co. Denn was passiert mit unseren Jugendlichen, wenn sie ziellos im Netz surfen können? Wenn Kinder stundenlang Handy-Spiele zocken?
Diesen und weiteren Fragen ging Prof. Dr. Christoph Möller, Chefarzt Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik vom Zentrum für Kinder und Jugendliche aus Hannover, auf dem 2. Mediziner Symposium Siegen-Olpe im zum Hörsaal umfunktionierten Kino der Krombacher Erlebniswelt nach. Zu dem Symposium hatten die Ärztevereine aus Siegen und Olpe gemeinsam mit den Chefärzten Prof. Dr. Frank Willeke aus dem St. Marien-Krankenhaus Siegen und Dr. Karl-Heinz Ebert von Hospitalgesellschaft Südwestfalen eingeladen. Über 120 Mediziner waren der Einladung gefolgt und ließen sich umfassend über das Thema „Internet- und Smartphone-Sucht“ informieren.
Aktuelle Studien belegen, dass mehr als 90 Prozent aller Jugendlichen ein eigenes Smartphone besitzen, in der Altersgruppe der Sechs- bis 13-Jährigen ist es immerhin ein Drittel. Dabei sei die Frage des rechten zeitlichen Umfangs des über diese Geräte vorgenommenen Medienkonsums nicht so einfach zu beantworten, da jedes Kind anders auf Medien reagiere. Entscheidend sei es, dass Eltern mit ihren Kindern in Kontakt blieben und die Heranwachsenden bei ihrem Umgang mit den Medien begleiteten, konstatierte Prof. Möller. Sie sollten wissen, welche Spiele und Apps die Kinder auf ihrem Smartphone nutzen und mit wem sie chatten. Und auch Regeln müssten gemeinsam besprochen werden. Sein erster Tipp für den Erstkontakt mit Bildschirm-Medien: „Je später, desto besser.“ Denn wenn die Bindung zwischen Kind und Eltern gefestigt sei, falle es leichter, einen verantwortungsvollen Umgang mit Medien zu erlernen.
Sein zweiter Tipp: Wenn Regeln ausgehandelt seien, müssten diese auch eingehalten werden – auch wenn es „Geschrei“ gibt: „Aber das müssen Eltern aushalten, denn auch der daraus resultierende Konflikt erzeugt Bindung“, sagte Möller und appellierte an die Eltern: „Seien Sie für ihr Kind da, bieten Sie ihm Alternativen an und trösten Sie. Denn das ‚Off-sein‘ der virtuellen Welt wird oft wie ein realer Verlust erlebt.“ Das Beste, was man den virtuellen Welten entgegensetzen könne, seien soziale Kontakte. Das fördere die soziale Kompetenz der Kinder und Jugendlichen. „Den Heranwachsenden müssen reale Bindungen geboten werden“, betonte der Hannoveraner Chefarzt. Neben klaren Regeln mit festen bildschirmfreien Zeiten sei auch die Kontrolle der Inhalte wichtig. „Der Verlauf der aufgerufenen Seiten muss nachgeprüft werden und mit den Kindern über die Inhalte der Seiten gesprochen werden“, riet Möller.
Nach seinem Vortrag fand eine Podiumsdiskussion statt, in der Mediziner ihre persönlichen Erfahrungen mit gefährdeten Jugendlichen und den Umgang mit Internet- und Smartphone-Sucht beschrieben. Abschließender Tenor: Ein real existierendes Netzwerk sei wichtig, um die Herausforderungen der Medienerziehung gemeinsam zu stemmen, damit aus Zocken kein Suchten wird.